Annika Kohl

Dr. Annika Kohl, wie funktioniert digitale Psychotherapie?

Für Vitos Haina arbeitet die Psychologische Psychotherapeutin Dr. Annika Kohl seit sieben Jahren in Haina und Korbach. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie betreut sie manche ihrer Patienten auch digital. Wie das funktioniert und die Therapie beeinflusst, erklärt sie im Interview.

 

Liebe Frau Kohl, wie wirken sich die Corona-Maßnahmen auf unsere Psyche aus?
Der Lockdown macht viele Menschen einsamer und stellt sie vor neue Herausforderungen. Wir haben das Gefühl, weniger Autonomie zu haben: Mit wem treffe ich mich? Wie, wann und wo sind Zusammenkünfte erlaubt? Welche Freizeitaktivitäten sind noch möglich? Das wirkt sich psychisch auf niemanden günstig aus, aber für meine Patienten ist es eine deutliche Belastung.

 

Sie betreuen Patienten mit psychischen Störungen. Dazu gehören unter anderem Persönlichkeitsstörungen, die mithilfe dialektisch-behavioraler Therapie behandelt werden. Eine Arbeit, die auf Gesprächen und der Therapeut-Patient-Beziehung beruht. Seit März führen Sie auch digitale Gespräche, wie läuft so etwas ab?

Genau, wenn die Patienten mit dieser Art der Behandlung einverstanden sind, mache ich Videosprechstunden. Zum vereinbarten Termin wählen sie sich in ein spezielles Videochat-Programm ein. Ich hole sie aus dem digitalen Wartezimmer ab und wir können in einem geschützten Online-Raum sprechen. Bei technischen Problemen habe ich telefonisch geholfen. Aber selbst ältere Patienten kommen damit meist gut klar. Um sich einzuwählen, reicht das Smartphone, das hat ja fast jeder. Nur auf eine stabile WLAN-Verbindung kommt es an. Vermutlich wäre die digitale Sprechstunde irgendwann sowieso gekommen, doch die Pandemie hat diesen Schritt total beschleunigt. Und mit oder ohne Corona – es ist eine große Chance für Regionen, die mit Ärzten und Therapeuten unterversorgt sind.

 

Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag verändert, seit Sie auch digital therapieren?

Die auffälligste Veränderung ist, dass ich regelmäßig von zuhause arbeite. Das ist komfortabel, weil lange Fahrtwege von meinem Wohnort Marburg nach Korbach oder Haina wegfallen. So bin ich nicht nur für meine Familie, sondern auch für meine Patienten flexibler da: Obwohl ich nur einen Tag pro Woche in der Korbacher Ambulanz, einem Satellitenstandort von Vitos Haina, vor Ort bin, kann ich durch die Videosprechstunde mehr Patienten versorgen. Corona hat auch die Wege verkürzt: Ich bekomme viel mehr Mails von meinen Patienten. Das ist direkter als ein Anruf im Sekretariat, der ja erstmal im passenden Moment zu mir durchgestellt werden muss.

 

Das klingt super. Aber wie verändert sich die Therapie dadurch, dass Sie die Patienten digital sprechen?

Eine Videosprechstunde ist ähnlich wie ein Hausbesuch beim Patienten. Ich als Therapeutin bekomme so auch einen kleinen Einblick in die Wohnung des Gegenübers. Gleichzeitig gehen im Vergleich zur Präsenz-Therapie andere Informationskanäle verloren: Ich bekomme nicht mit, wenn der Patient zittrige Hände bekommt, nervös mit dem Bein wippt, ständig an den Fingernägeln knibbelt oder Patienten Schwierigkeiten mit der Körperhygiene haben.

Seit Corona fallen auch kleine Gesten oder angemessene Berührungen weg. Einem sehr traurigen Patienten mal die Hand auf die Schulter zu legen, kann eine große Bedeutung haben. Oder noch extremer: Wenn ich befürchten muss, dass ein suizidgefährdeter Patient nicht über das Wochenende kommt, hätte ich früher immer gesagt: ‚Geben Sie mir die Hand darauf.‘ – Da brauchen wir jetzt noch andere Kniffe und müssen zum Beispiel öfter Feedback einholen.

Außerdem muss der Patient selbst für ein geeignetes Setting sorgen: Ein ruhiger Ort, an dem niemand stört. Doch dass die Patienten bei der Sprechstunde alleine sind, ist auch gar nicht so selbstverständlich wie ich vorher dachte. Es ist schon mal passiert, dass, für mich nicht sichtbar, der Partner nebendran auf der Couch saß. Das verändert die Situation. Als ich das bei einer Patientin ansprach, konnten wir das ganz pragmatisch regeln und haben ein Paargespräch daraus gemacht. In diesem Fall war das ganz günstig, das ist es aber nicht immer. Bei einer anderen Patientin macht die kleine Wohnung mit der Tochter im Nebenzimmer freies Sprechen unmöglich. So macht digitale Therapie keinen Sinn.

Herausfordernd ist auch, dass Online-Therapie bei manchen Patienten ein Vermeidungsverhalten anregt: Wer Angst hat sein Haus zu verlassen, für den erscheint die Videotherapie wundervoll. Doch so fällt die Konfrontationsübung weg. Wiederum für Patienten, die Ängste vorm Telefonieren oder vor Videotelefonie haben, für die ist digitale Therapie die reinste Konfrontationsübung. – Zwei Seiten der Medaille.

 

Vielen Dank für diesen Einblick, Frau Kohl. Viel Erfolg weiterhin!

Annika Kohl

Zur Person

DR. ANNIKA KOHL

Ich arbeite aktuell als Psychologische Psychotherapeutin bei der Vitos Haina gGmbH

Studiert habe ich Psychologie an der Universität Marburg

Mein Zuhause ist aktuell Marburg

Meine Heimat ist der Oberbergische Kreis und Marburg

Mein Lieblingsort ist neben vielen anderen die Kuppe aus Marburg kommend bevor man nach Rosenthal aus dem Wald hinaus fährt