„Führungskompetenzen sind kein Zufallsprodukt!“

NETWORK: Liebe Frau Alsfasser, Ihr beruflicher Werdegang war alles andere als geradlinig: Als Verkäuferin und dann Einzelhandelskauffrau starteten Sie in Ihre Berufslaufbahn. Heute sind Sie bereits über zehn Jahre selbstständige Unternehmensberaterin und Trainerin. Wie sind Sie zu dem gekommen, was Sie heute sind?

Alsfasser: Neugierde. Bereits der Start in die Berufslaufbahn war eine spannende Sache, denn ursprünglich wollte ich Goldschmiedin oder Zahntechnikerin werden. Da ich dafür zu jung war, habe ich eine Ausbildung zur Verkäuferin bei Hans Stracke in Arolsen begonnen. Mit viel Unterstützung von Hans und Deike Stracke habe ich meine Ausbildung mit Bravour abgeschlossen. Nach meiner Ausbildung bewarb ich mich in einer Goldschmiede in Paderborn zunächst als Verkäuferin mit dem Ziel, eine Goldschmiedeausbildung anzuschließen. Leider – oder rückblickend zum Glück – fehlte mir das notwendige Talent für filigrane Schmiedearbeiten; ich sägte mir regelmäßig in die Finger. Verkäuferin bleiben wollte ich auf Dauer nicht, das füllte mich nicht aus. Die naheliegende Qualifizierung war eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Der Goldschmiedebetrieb war kein Ausbildungsbetrieb, aber dort gefiel es mir vom Betriebsklima her.  Also meldete ich mich bei der IHK Westfalen und erfuhr dort, dass ich die Möglichkeit hatte, mich als sogenannte „Externe“ zur Prüfung anzumelden. Das bedeutet, dass ich mich autodidaktisch auf die Prüfung vorbereitete. Es funktionierte, ich bestand die Prüfung mit einer „2“.  Als ich mit meiner Prüfungsurkunde das Gebäude verließ, wusste ich, dass ich auch das Abitur schaffen kann. Nach dem Abitur studierte ich in Kassel Wirtschaftswissenschaften und begann danach als „Assistenz der Geschäftsleitung“. Ich leitete die Buchhaltung und war für Personalfragen zuständig. Konflikte im Unternehmen leiteten dann eine Vielzahl von Weiterbildungen und Aufbaustudien ein, die ich nebenberuflich besuchte. Darunter die Uni St. Gallen, Uni Bochum und die AWITT in Hamburg. Neben meinen Jobs war ich bereits recht früh in der Erwachsenenbildung tätig. Ich bildete Betriebswirte des Handwerks aus und arbeitete für die VW Coaching in den Bereichen Betriebswirtschaft und Qualitätsmanagement. Die Selbstständigkeit war für mich ein weiterer Schritt, meine Interessen, Fertigkeiten und Fähigkeiten weiterzuentwickeln und an Unternehmer und Führungskräfte weiterzugeben.

 

NETWORK: Das sind viele spannende Stationen! Welche von diesen war für Sie die prägendste Ihrer Berufslaufbahn?

Alsfasser: Das ist wohl nach wie vor die Zeit der externen Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau bis zum Entschluss, das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg anzustreben. In dieser Zeit habe ich erstens die für mich passenden Lernformen und Lernmethoden entwickeln können, zweitens habe ich erfahren, dass ein Ziel nicht zu erreichen nicht bedeutet, eine Niederlage zu erleiden, sondern immer eine Chance ist, sich neu auszurichten. Und drittens habe ich gelernt, mit knappen Ressourcen zu haushalten. Meine Ausbildungen und Qualifizierungen habe ich selbst finanziert. Während der Abizeit und des Studiums durch Nebenjobs und alle weiteren berufsbegleitend.

 

NETWORK: Heute beraten Sie auch viele Mittelständler auf dem regionalen Markt. Was macht ihre Arbeit hier für Sie besonders?

Alsfasser: Die räumliche Nähe zu den Unternehmen. Ich denke, das ist für alle Seiten ein Gewinn. Meine Geschäftspartner schätzen es, dass ich als Ansprechpartnerin vor Ort bin. Und wenn Sie sich meinen Blog ansehen oder meine neue Website „Fit-in-Führung“, werden Sie nachvollziehen können, wie gern ich hier lebe und arbeite.

 

NETWORK: In Ihrer Arbeit stoßen Sie sicherlich oft an Grenzen – Ihre eigenen sowie gemeinsam mit Ihren Kunden an deren Grenzen. Wie überwinden Sie diese?

Alsfasser: Ja, das passiert, denn in meiner Arbeit geht es häufig ans „Eingemachte“. Wir Menschen stehen fast täglich vor neuen Herausforderungen. Und sie machen uns besonders dann Angst, wenn sie von außen kommen, also wenn die angestrebte Veränderung nicht unsere Idee war. Fehlt uns eine angemessene Handlungsstrategie, haben wir ein Problem: Wir wissen nicht mehr weiter und es entsteht ein Gefühl der Bedrohung, Angst oder Panik. Hilfreich in solchen Situation ist, den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Dies gelingt wenn wir unseren Blickwinkel auf die Situation verändern. Wenn wir noch einmal zurück zu Ihrer Frage nach der prägnantesten Station meiner beruflichen Laufbahn gehen, wird klar, was ich meine. Mein Traum vom Goldschmiedeberuf war geplatzt. Anstatt niedergeschlagen meine Wunden zu lecken, habe ich rasch nach Alternativen gesucht, um mich weiterzuentwickeln. Rückblickend kling die externe Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau simpel. Doch dazu gehörten viel Recherche, Papierkram und später dann lernen bis in die Nacht. Und es war ja nicht meine einzige Option, jedoch die erfolgversprechendste. Und selbstverständlich hatte ich immer sehr viel Respekt vor den vor mir liegenden Aufgaben, manchmal auch Existenz- und Versagensangst. Irgendwann verlor ich meine Ängste und hatte Spaß an neuen Herausforderungen. Hinzu kam, dass mein privates Umfeld, Familie und Freunde, meiner Suche nach neuen Herausforderungen und beruflichem Wechsel nicht immer aufgeschlossen gegenüberstand.

Und solche Situationen kennen wir doch alle: Wir stehen vor einem riesigen Berg und können kaum glauben, dass wir es schaffen, diese Herausforderung zu bewältigen. Später stellen wir häufig rückblickend fest, dass es genau diese Talsohle war, die uns ein großes Stück weiter gebracht hat.

 

NETWORK: Gibt es eine Technik, die besonders gut dabei hilft, die Talsohle zu passieren?

Alsfasser: Ein sehr gutes Hilfsmittel ist die kollegiale Fallberatung, eine von vielen Techniken aus dem Coaching. Kollegen, Freunde oder Bekannte unterstützten den Problemlösungsprozess durch das Stellen von offenen Fragen. Wichtig dabei ist, den Findungsprozess nicht mit eigenen Ideen oder Sichtweisen zu beeinflussen. Dafür sind Fragetechniken aus dem Neun-Felder-Modell von Riefordt sehr hilfreich.

 

NETWORK: Welche drei Ratschläge können Sie als Beraterin angehenden Unternehmern und Führungskräften mit auf den Weg geben?

Alsfasser: Erstens: Führung ist Chefsache. Führungskompetenzen sind kein Zufallsprodukt. Sie müssen von Ihnen als angehende Führungskraft gelernt und trainiert werden. Zweitens: Machen Sie sich bewusst, dass rund 80% der innerbetrieblichen Konflikte ihre Ursache in dysfunktionalen Führungsprozessen haben. Und zu guter Letzt: Veränderungsprozesse gelingen nur dann, wenn die Chefetage mitzieht.

 

NETWORK: Liebe Frau Alsfasser, wir danken Ihnen für den Einblick in Ihren spannenden Lebenslauf und hoffen, bald wieder von Ihren Erfahrungen und Eindrücken zu hören.

Zur Person

Anne Alsfasser unterstützt als selbstständige Unternehmensberaterin und Trainerin die Unternehmen im Landkreis bei Veränderungs- und Übergabeprozessen. Vor ihrer Selbstständigkeit arbeitete sie unter anderem als Personalreferentin der Geschäftsleitung, als Dozentin in der Erwachsenenbildung, als Projektleiterin für die Wirtschaftsförderung Waldeck-Frankenberg und als Partnerin einer regionalen Unternehmensberatung. In diesen vielen Stationen hat sie gelernt, dass berufliche Grenzen nicht existieren und eigene Werte als Leitplanke der berufliche Entwicklung dienen können. „Alsfasser schreibt“ heißt ihr Blog, den sie nutzt, um ihre Erfahrungen und Impulse zu teilen.

 

www.anne-alsfasser.de